Staunen

Die Menschen reisen in fremde Länder
und staunen über die Höhe der Berge,
die Gewalt der Meereswellen,
die Länge der Flüsse,
die Weite des Ozeans,
das Wandern der Sterne.
aber sie gehen ohne Staunen
aneinander vorbei.

Aurelius Augustinus

Können wir noch Staunen und was lässt uns staunen? Diese Frage lässt sich natürlich nicht allgemein sondern nur individuell beantworten, aber wenn wir staunen, dann ist es doch meist so, wie es in dem Zitat von Aurelius Augustinus beschrieben ist.  Wir staunen über so vieles in der Welt, aber an unseren Mitmenschen gehen wir oft achtlos vorbei.

Aber sind nicht auch unsere Mitmenschen zum Staunen?
In ihrem Leben, ihrem Wesen, ihrer Vielfalt und ihrem Sein. Manche Menschen sind sich ähnlich und doch ist keiner ganz gleich. Jeder ist ein Individuum mit eigenen Vorlieben, Interessen, Gedanken, Talenten und eigenem Aussehen. Manches ist sofort erkennbar, anderes muss entdeckt werden. Wenn wir versuchen den MENSCH hinter dem  äußeren Menschen zu sehen, werden wir bestimmt vieles entdecken, das auf dem ersten Blick nicht erkennbar war und ich bin mir sicher, dass uns so  manches in Erstaunen versetzen wird.


 

 

 

 

Das Ganze sehen

Seht ihr den Mond dort stehen
Er ist nur halb zu sehen
Und ist doch rund und schön
So sind wohl manche Sachen
Die wir getrost verlachen
Weil unsere Augen sie nicht seh’n

Dies ist der 3. Vers des schönen Abendliedes „Der Mond ist aufgegangen“ von Matthias Claudius

In diesem Vers wird etwas sehr wichtiges angesprochen. Wenn nicht gerade Vollmond ist, ist nicht der ganze Mond zu sehen und trotzdem ist er da, ist genauso rund und schön, wie bei Vollmond. Nur wir können es momentan nicht sehen. Wir sehen nur einen Teil. Und trotzdem ist dieser nicht sichtbare Teil auch vorhanden.

Genauso im Alltag: Über vieles – oder auch viele – spotten oder lachen wir, da wir häufig nur einen Teil sehen oder kennen und nicht das Ganze oder die ganze Person. Vieles ist für unsere Augen nicht sichtbar und ist doch da, wir sehen oder wissen es nur nicht. Wie oft urteilen wir zum Beispiel negativ über einen Menschen. Wir kennen aber meistens nicht die ganze Person, ein Teil bleibt für uns häufig unsichtbar. Dieser Teil ist aber trotzdem da und gehört auch zu diesem Menschen und wenn wir diesen Menschen näher kennenlernen und dann vielleicht auch die auf den ersten Blick nicht sichtbaren Seiten entdecken, dann erscheint er/sie uns dann vielleicht in einem andern Licht und wunderschön – so wie der Vollmond.

Wir sollten also versuchen immer das Ganze zu erkennen. Auch wenn es nicht immer sichtbar ist, so lässt es sich doch oft erahnen, wenn wir versuchen genau hinzuschauen. Sich auf eine Sache oder einen Menschen ganz einlassen und versuchen auch das zu entdecken, das gerade nicht sichtbar ist.
Dazu brauchen wir nicht nur offene Augen, sondern vor allem auch ein offenes Herz.

Schein und Sein

„Jeder sieht, was Du scheinst. Nur wenige fühlen, wie Du bist.“
(Niccolò Machiavelli)

Oder auch, wie Paul Gaugin sagte: „Wer sehen will muss die Augen schließen“ . Unsere Augen sehen ja nur das Äußere, nie das, was inwendig ist. Um zu erfahren was hinter der Hülle ist, braucht es das Fühlen, das sich auch aus dem genauen Hinhören ergibt. Die Augen gehen nach außen, die Ohren führen nach innen, das Fühlen kommt aus dem Herzen „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Warum? Weil die Augen sich von Äußerlichem blenden lassen. Nur wenige machen sich die Mühe auch tiefer zu sehen, hinter das Bild, das ich nach außen abgebe. Aber diese Menschen sind es, die zählen, die wichtig sind, denn sie sehen MICH.

Trüget doch oft der Schein! Ich mag dem Äußeren nicht trauen.
(Johann Wolfgang von Goethe)