Vernunft steht der Tradition im Weg

Mathematik

Robert Scarth – CC BY-SA 2.0

Was ist mit einigen muslimischen Gemeinschaften denn nur passiert, dass heute noch an gewissen arabischen Universitäten zum Beispiel die Relativitätstheorie, wo sie in der Physik als gültige Theorie gelehrt wird, im Bereich der „Islamwissenschaft“ als Unglaube (kufr) abgetan wird, da nach dieser Theorie angeblich Materie durch Energie „erschaffen“ werde und dies mit dem Glauben kollidiere, nur Gott könne erschaffen! Welch Armutszeugnis und welche Ignoranz!

Die klassische Theologie hatte doch stets die Vernunft (‚Aql) und ihre Wichtigkeit betont. Gruppen wie die Mu’tazila oder auch klassisch-orthodoxe Gestalten wie Al-Maturidi betonten, dass die einzige Quelle, die außerhalb des Koran als zuverlässig galt, die Vernunft sei. Denn nur sie (!) wäre in der Lage, Beweise für die Logik, die Weisheit und Anwendbarkeit der Interpretationen des Koran zu geben. Logik und Vernunft lässt sich durch keine Autorität lehren, weshalb eine Reform der heutigen muslimischen Gesellschaft darin bestehen muss, kritisch gegenüber der Tradition, der Rechtslehre und dem Imitieren (taqliid) von Traditionen (taqaaliid) in der Religion zu sein, denn insbesondere letzteres führt gem. Al-Maturidi dazu, dass jede Religion gleichermaßen wahr oder falsch sein wird, da keinerlei vernunftgemäßes Begründen ihrer Wahrheit und Anwendbarkeit vorhanden ist.

Welche Ignoranz und welches Unwissen die Mehrheit der heutigen Muslime mit sich tragen, wird auch dadurch deutlich, dass sie die vergangenen muslimischen Generationen feiern, die sich für die Blütezeit verantwortlich zeichneten und die Wissenschaften vorantrieben. Aber gerne wird ignoriert, dass eben gerade diese Muslime anders gedacht haben als sie selbst – nämlich, dass sie beispielsweise die Ahadith äußerst kritisch sahen, die einem mehr im Weg stehen als helfen. Beispiel:

“I do not believe any hadith or report of a companion of the prophet to be true which differs from the common sense meaning of the Quran, no matter how trustworthy the narrators may have been. It is not impossible that a narrator appears to be trustworthy though he may be moved by ulterior motive. If hadith’s were criticized for their textual contents as they were for the narrators who transmitted them, a great number would have been rejected. It is a recognized principle that a hadith could be declared spurious if it departs from the common sense meaning of the Quran from the recognized principles of Shariah, the rules of Logic, the evidence of sense, or any other self-evident truth.”

– Ibn Khaldun

Was haben wir aber heute? Menschen, die dem Prinzip „al-naql ‚Alaa al-‚Aql“ (die Überlieferung steht über/kommt vor dem Verstand) folgen und dieses verbreiten. Sehr viele Menschen glauben, dass ihr Verstand nicht richtig funktioniere, weil sie einen gegebenen Hadith nicht verstehen oder mit ihrer Vernunft nicht vereinbaren können. Sie wählen lieber die blinde Nachahmung (taqliid), die dem Koran in vielerlei Hinsicht widerspricht.

Aber ich muss auch nicht alte Gestalten bemühen, auch Muhammad Abduh, ehemaliger Großmufti Ägyptens, äußerte sich wie folgt über die Rolle der Vernunft:

Islam, therefore, and its demand for faith in God and his unity, depend only on the rational proof and common sense human thinking. Islam does not overwhelm the mind with the supernatural, confuse the understanding with the extraordinary, impose acquiescent silence by resorting to heavenly intervention, nor does it impede the movement of thought by any sudden cry of divinity. All the Muslims are agreed, except those hose opinions are insignificant, that faith in God is prior to faith in prophethood and that it is not possible to believe in the prophet except after one has come to believe in God. It is unreasonable to demand faith in God on the ground that the prophets or the revealed books has said so, for it is unreasonable to believe that any book has been revealed by God unless one already believed that God exists and that it is possible for him to reveal a Book and send a messenger.

Sehr interessant ist auch der Ausspruch von ‚Asim al-nabil (g. 212):

„In nichts Erlogeneres sahen wir die Frommen ausgesetzt als in der Überlieferung/im Hadith.“ (In nothing do we see pious men more given to falsehood than in Tradition)
لم نرَ الصالحينَ في شيء أكذب منهم في الحديث
(lam nara al-SaaliHiina fii shay’in ‚akdhaba minhum fi l-Hadithi).‘

Wie sehr sich dieses Ignorieren der Vernunft bemerkbar macht, ist an den „hadith qudsiy“ zu sehen, die als Überlieferung nicht nur dem Propheten, sondern gleich Gott höchstpersönlich untergejubelt werden!

Es ist wahr, Gottes Barmherzigkeit ist allumfassend und wir sind nicht in der Lage, seine Barmherzigkeit zu verstehen. Und deshalb sollten wir IHN lieben, weil Er uns bereits liebte und liebt.

Ein Beispiel, wie ein sogenannter „heiliger Hadith“ (Hadith qudsiy, ein Hadith, der auf Gott höchstpersönlich zurückgehe!) dem ersten Anschein nach schön und gar als Zeichen der Barmherzigkeit Gottes erweist, aber bei näherer Betrachtung jeglicher Logik entfernt ist und Gott unterstellt, Seine gefällten Entscheidungen wegen ein paar menschlichen Sätzen zu ändern:

———
Gott der Erhabene gab Befehl, einen gewissen Menschen ins Feuer zu werfen. Als dieser nun am Rande der Hölle stand, drehte er sich um und sagte: Nicht doch, bei Gott!, mein Herr! – wo ich doch fürwahr gut von dir dachte! Da sprach Gott: Holt ihn zurück. Ich bin mit meinem Knecht, wenn er gut von mir denkt!

أمـر اللهُ عـزَّ وجـلَّ بـعـبــدٍ إلــى الـنَّـــارِ
فـلـمَّـا وقـف على شفـتِها التفت فقال
أما واللهِ يا ربِّ إن كان ظنِّي بك لحسَنٌ
فقـــــــــــــــــــــــال اللّــهُ عــزَّ وجـــلَّ
رُ دُّ و ه
أنـا عـنـد حُـسـنِ ظــنِّ عـبـدي بــــــي
———

Doch was sagt der Koran zu solcherart Logik, die sich in Tat und Wahrheit als Blasphemie erweist? Lesen wir (insbesondere jenen, die Arabisch verstehen, möchte ich die deutliche Ähnlichkeit der obigen Wortwahl mit der aus 6:23 nahelegen):

6:23-24 Dann werden sie keine andere Ausrede haben als dass sie sagen werden: „Bei Gott, unserem Herrn, wir waren keine Beigesellende (mushrikiin).“ Schau, wie sie wider sich selber lügen und das, was sie sich ersannen, sie im Stiche lässt.

ثُمَّ لَمْ تَكُن فِتْنَتُهُمْ إِلَّآ أَن قَالُوا۟ وَٱللَّهِ رَبِّنَا مَا كُنَّا مُشْرِكِينَ
ٱنظُرْ كَيْفَ كَذَبُوا۟ عَلَىٰٓ أَنفُسِهِمْ ۚ وَضَلَّ عَنْهُم مَّا كَانُوا۟ يَفْتَرُونَ

6:27-28 Und könntest du nur sehen, wie sie vor das Feuer gestellt werden! Dann werden sie sprechen: «Ach, dass wir doch zurückgebracht würden! Wir würden dann nicht die Zeichen unseres Herrn als Lüge behandeln, und wir würden zu den Gläubigen zählen.» Nein, das, was sie ehemals zu verhehlen pflegten, ist ihnen nun klar geworden. …

Und wo doch der Koran an vielen Stellen sagt:

أَفَلَا تَعْقِلُونَ
Wollt ihr nicht euren Verstand gebrauchen?

3 Gedanken zu “Vernunft steht der Tradition im Weg

  1. Danke für diesen Beitrag. Tradition und Bräuche haben dazu geführt, dass für viele Gläubige, Hadithe nicht mehr wegzudenken sind. Ich selbst bin in dieser Form aufgewachsen bzw. jeder in meinem Umkreis, der vom Islam erzählte, nannte immer wieder einen Hadith als Beispiel für bestimmte Dinge. Das erlebe ich heute noch immer und immer wieder. Dies zeigt eindeutig, dass wir uns nicht intensiv mit dem Koran, dem Buch, dass keine Fragen offen lässt, befassen.

  2. Salam!
    Da ist mal was ganz anderes was mich interessiert und zwar gibt es den ein oder anderen Hadith der ja schon über Insassen der Hölle handelt, der Tag des jüngsten Gerichts steht uns aber erst noch bevor. Sollen das jetzt Voraussagungen für die Zukunft sein oder wie kann man das verstehen?

    Dazu fallen mir spontan auch folgende Verse ein:
    „Sie fragen dich wegen der Stunde: Wann kommt die wohl? Doch was hast du mit ihrer Verkündung zu schaffen? Das endgültige Wissen darum ist allein deinen Herrn (vorbehalten). Du bist nur ein Warner für den, der sie fürchtet.
    (79:42-45)

    Und doch gibt es unzählige Ahadith über die Stunde und die Zeichen die eintreffen, dabei liegt das Wissen alleine bei Allah swt.! Das ignorieren leider so gut wie alle, anstatt im Koran zu lesen vertrauen sie lieber auf andere Quellen.

    W salam

  3. Himmel und Hölle sind ein polares Naturgesetz. Einfach alles Geschehen auf der Erde ist einem Naturgesetz unterworfen.

    Wunder gibt es nicht! Wir kennen dieses Grundgesetz auf das es beruht eben nicht. Daher sagen wir „Wunder“ dazu!

    Himmel und Hölle sind im Menschen selbst angelegt, man hat alles in sich.
    Die Drohungen und Qualen die die Religionen verkünden sind ein Mittel die Menschen zu führen und zu manipulieren!

    Die angeführten Qualen der Hölle besonders im Islam, werden die Folterungen sehr drastisch und Schmerzhaft dargestellt und beschrieben. Dabei vergessen die Autoren, das der Mensch nach den Tod ohne Körper ist. Er hat einen Geistleib. Somit sind die Beschreibungen der Qualen eine Irreleitung.

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