Was taugt die Leitkultur?

Nicht nur der zur Reflexion unbequeme Durchschnitt der Gesellschaft meint auf Grundlage fragwürdiger Publikationen, die Gefahr aus dem Morgenland erkannt zu haben, sondern auch in deutschen Hörsälen fabulieren Professoren offen über die Kompatibilität verschiedener Kulturen und sehen das christliche Abendland am Rande des islamischen Abgrundes, den man nur mit einer überzeugenden und schlagfertigen Leitkultur überbrücken könne.
Denn schließlich seien es ja stets die Gäste, die sich dem großzügigen Gastgeber anzupassen haben, welcher doch immerhin so großzügig sei, das Geschenk der modernen Zivilisation mit anderen Kulturen zu teilen. Kurzum: Her mit der deutschen Leitkultur!

Was die Leitkultur anscheinend will, ist recht klar, doch darf sie überhaupt den selbstgerechten Anspruch stellen, unsere multikulturelle Gesellschaft nach Utopia zu führen und kulturelle Maßstäbe festzusetzen, die schlicht notwendig zu sein scheinen?!
Prinzipiell ist ein sozialer und politischer Konsens die Grundvoraussetzung für ein aktives Miteinander, oder doch zumindest für ein weitgehend unproblematisches Nebeneinander. Doch wenn der Konsens seinen positiven Wert nur daraus schöpfen kann, dass man eine der involvierten Parteien bändigen muss, erhärtet sich der Verdacht, dass reaktionäre und verängstigte Reflexe und kein allgemeingültiges Gut am Werke sind.
Wer die Fremdmarkierung bracht, um sich selbst zu verordnen, weiß im Grunde gar nicht, wo er steht und in welche Richtung er sich wenden muss.

Die christliche Tradition Europas soll nun also der Rettungsanker sein, um Ehrenmorden, Zwangsheiraten, Kopftüchern und der Intoleranz ein Ende zu setzen. Merkwürdig ist jedoch, dass es fast 2000 Jahre lang die eben explizit christliche Gesellschaft war, die für Zwang, mangelnde Toleranz und Unfreiheit stand. Mit einem so negativen belasteten Gegenstand soll jetzt das Abendland gerettet werden? Nu, warum denn eigentlich nicht wieder her mit dem Mutterkreuz, um auch gleich noch das traditionelle Familienmodell zu retten?

Leitkultur mit Papst und Kirchturm? Nein, dann doch lieber mit persönlichem Glauben, kritischer Reflektion, aber auch mit ein bisschen Kant und Lessing. Aber Moment, wer hat die denn schon gelesen?

Zuerst erschienen auf: Galutfreuden

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.