G-tt und Leid

Mit der Frage, warum G’tt ausgerechnet sein auserwähltes Volk in solch hohen Maßen leiden lässt, wird ein religiöser Jude immer wieder konfrontiert. Nicht nur aus einem eigenen Antrieb heraus drängt sich dem Verstand diese Frage auf, sondern vor allem Nichtjuden wollen den Glauben eines Juden insbesondere in Anbetracht des Holocaust nachvollziehen können.

Bis heute kann ich auf solche Fragen keine Antwort geben. Viele Gelehrte haben sich an das Thema Holocaust gewagt, doch niemand konnte in meinen Augen eine befriedigende Erklärung abliefern. Israel sei das leidende Lamm auf dem Weg zur Erlösung lautet eine Erklärung. Eine g’ttlose Gesellschaft sei zum gewaltigen Scheitern verurteilt und der Holocaust führe dies der Menschheit vor Augen, lautet eine andere Erklärung.

Ersteres kann ich im symbolischen Sinne einer Metapher nachvollziehen und besitzt durchaus eine gewisse Richtigkeit, doch gleichzeitig impliziert dieser Gedankengang ein Menschenopfer Israels, was G’tt selbst jedoch verbietet – warum sollte er selbst also seine Geschöpfe opfern?

Die Zweite Erklärung ist lediglich eine logische Schlussfolgerung aus der Katastrophe, jedoch keine Erklärung ihres Grundes. Zudem beinhaltet sie ein negatives Urteil über die Opfer selbst, die in diesem Zusammenhang als ein Teil der g’ttlosen Gesellschaft betrachtet werden müssen. Es ist zwar richtig, dass das jüdische Volk vor allem wegen seiner Abweichungen von der Torah immer wieder bestraft wurde (schon vor dem Einzug ins Land Israels verkündet G’tt harte Strafen im Falle eines Abfalls von seinen Worten), doch würde G’tt bis zur Opferung seines Volkes schreiten?! Nein, das würde er nicht und die Erklärung der G’ttlosigkeit ist mir persönlich intellektuell betrachtet zu schwach – ein „typisch religiöses“ Argument, was automatisch eine Diffamierung anderer beinhaltet.

Ich selbst mache mir zwar Gedanken, finde aber nicht einmal den Ansatz einer Erklärung, um das Unbegreifliche nachvollziehbar zu machen. Vielleicht ist das ja auch gut so. So sehr sich Rabbiner, Pfarrer, Philosophen oder was weiß ich, sich auch bemühen mögen, eine theologische Erklärung für den Holocaust zu finden, werden sie wohl immer scheitern und der Sinn des Leidens des Volkes Israels, der Sinn des Leidens der Menschheit wird sich wohl erst dann offenbaren, wenn sich G’tt den Menschen wieder offenbart.

In Hezekiel fand ich dazu den folgenden, passenden und sehr schönen Vers:

Und erstehen lass ich ihnen eine Pflanzung zum Ruhm, dass es nicht mehr vom Hunger Geraffte gibt im Land, und sie den Schimpf der Völker nicht mehr tragen. Und sie werden erkennen, dass ich, der Ewige, ihr G’tt, mit ihnen bin, und sie mein Volk sind, Haus Israel, ist G’ttes Spruch, des Herrn.“ (Hezekiel 34,29-30)

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